Finster wars, der Mond schien helle. Ein schriller Wind pfiff über die Flur, als ein einzelner Geselle die weite Ebene durchfuhr. Doch eigentlich fuhr er nicht, ritt er doch auf seinem Hengst die karge, trockene Landschaft entlang. Rechts passierte er eine gro?e Salzpfanne, deren Farbgebung allein schon die n?chtliche Reise für ihn ein wenig orientierungsfreundlicher machte, erm?glichte sie ihm doch besser zu erkennen, wo die Stra?e war. Auf und ab schl?ngelte sich diese und leitete ihn seinem Ziel entgegen. Es lag westw?rts.
Um wen es sich bei der Person handelte, war nicht auszumachen. Das war nicht nur der lichtarmen Tageszeit geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass er verhüllt war. Er sollte nicht erkannt werden. Obgleich es niemanden in dieser verlassenen Gegend gab, der ihn erkennen h?tte k?nnen, so folgte er doch strikt den Anweisungen seines Auftraggebers. Er war und verblieb der unbekannte Reiter in der Nacht.
Ein anderer Ort, jedoch zur gleichen Zeit: Derselbe Mond strahlte vom Himmel herab und erleuchtete das dunkle Obergewand eines weiteren Mannes, der auf einem Pferd ritt. Auch sein Gesicht war unter einer Kapuze versteckt. Warum? Was auch immer der Grund dafür war, er war in gro?er Eile. Wieder und wieder spornte er sein Reittier an, um schnellstm?glich wieder zurückzukehren, wo er hergekommen war. Sein Auftrag war erledigt und er hatte einen straffen Zeitplan einzuhalten. Zu seiner Linken wurden undeutlich die finsteren Schatten der Karantischen W?lder erkennbar, welche er vom Süden her umging. Allerlei kleines Getier, wie etwa Glühwürmchen oder Mücken, flogen ihm st?ndig ins Gesicht. Ekelhaft! Nur sehr selten kam er an Personen vorbei, die ihm gelegentlich überrascht oder erschreckt nachblickten. ?Was macht denn der Irre hier um diese Uhrzeit?“, würden sich diese wohl von ihm denken. Ihm war dies alles schnuppe. Er hatte keine Zeit zu verlieren.
Immer noch selbe Zeit, n?rdliches Mittelordanien: Vom Norden her galoppierte ein Reitersmann, so wild, als ob ihn ein Ungetüm jagte, daher. Auch er war bis zur Unkenntlichkeit verhüllt, und auch er war auf einer Mission unterwegs. Wie gehetzt flitzte er die Stra?e zur Hauptstadt entlang. Auf seinem Weg donnerte er an einem gleichsam berittenen Mann in Milit?runiform vorüber. Der Genannte schaute ihm vorerst nur verdattert nach, bis er schlie?lich überriss, dass er eine solch verd?chtige Gestalt vermutlich aufhalten und befragen sollte. Er nahm die Verfolgung auf, wurde aber von dem flinken Ross im Staub zurückgelassen. Schlie?lich gab er sein Unterfangen auf, und ?ugte dem scheinbar Getriebenen in mittlerweile weiter Ferne argw?hnisch nach. Was es mit dem wohl auf sich hatte?
Wer reitet so sp?t durch Nacht und Wind? Es ist der vierte Reiter und auch er ist geschwind. Der Anonyme verlor ebenso wie die anderen Drei keine Zeit und trieb seinen Gaul so weit, wie es nur ging, weiter an. Kurz schob sich ein kleines W?lkchen vor den Mond, doch dann erhellte er gleich wieder die n?chtliche Landschaft. Diese war gepr?gt von einer trockeneren Flora als die Vorige. Durch die südlichen Lande Camenias hastete er, um wieder ins Herz des Reiches zurückzukehren. Was war sein Auftrag? Nun, keiner der Leute, die ihn vom Wegesrand aus erblickten, konnten dies wissen. Auf jeden Fall kehrte er, gleich den anderen, an einen ganz bestimmten Ort zurück. Dieser hie? Meglarsbruck. Erst wenn sie alle wieder dort waren, würden die Dinge in Bewegung geraten und der Plan eingeleitet werden.
Schlie?lich am Stadttor wurde der letzte dieser vier mysteri?sen Boten von den W?chtern aufgehalten. Als er ihnen eine Rolle Pergament mit einem ganz bestimmten Siegel pr?sentierte, schraken diese gar ehrfürchtig auf und lie?en ausnahmsweise und extra für ihn den eisernen Rost des Tores hinauf, um ihm Eintritt zu gew?hren. Unter dem schummrigen Licht der Stra?enlaternen und den wachsamen Blicken der zahllosen Heiligenstatuen hoch oben auf den S?ulen, die seine Route flankierten, brauste er über die Hauptstra?e der Metropole. Beim vergleichsweise kleinen, jedoch immer noch relativ überdimensionierten, Bau des neuen ?Erl?serpalastes“ ritt er an. Der Mann stieg von seinem Tier herab und trat in das einzige der Geb?ude des Palastes, das bisher fertiggestellt war und das einzige dieser, das in Benützung war. Nun waren sie alle in der Reichshauptstadt eingetroffen. Der erste Schritt war getan. Jetzt würde es beginnen.
Ein paar Tage zuvor:
Beide Flügel eines gro?en Fensters standen offen wodurch die für die Jahreszeit viel zu warme, ja gar hei?e Luft, hereinstr?mte. Ein ganzes Stück entfernt davon stand Ihre Hoheit in der Mitte des Raumes. Pinsel in der Hand, machte sie einen wohl-bedachten Strich nach dem anderen auf einem Gem?lde, das von einer Staffelei gehalten wurde. Mit einem dunkleren Gelb zog sie die Konturen vom Ackerrohr nach, welcher nur ein kleines Element ihrer Zeichnung ausmachte. Des Weiteren waren in diesem noch weite Felder, eine etwas gr??ere Siedlung und ein paar altehrwürdige Bauten auf einem Hügel zu erkennen. Für Amalie war es ein Ausflug in ihre Vergangenheit, eine die so nicht mehr existierte. Ihre Kreation bildete ihre Geburtsstadt Olemar ab, die auch der lebenslange Heimatort ihrer Eltern, Gott hab sie selig, gewesen war. Nun schwelgte sie in der Vergangenheit an dem Ort, an dem sie ihren Mann kennengelernt hatte, und mit dem sie immer noch so viele gute Erinnerungen in Verbindung brachte……..gro?teils zumindest.
Ihre Arbeit ging nur sehr langsam voran. Die alte Dame wunderte sich, ob die von Efeu überwucherte Au?enmauer des Internats wohl auch am heutigen Tage noch so marode war, wie zu jenen Zeiten, die sich im Moment vor ihrem inneren Auge wiederabspielten. Von drau?en drang heute nur sehr wenig L?rm herein, was dem Umstand des aktuellen Feiertages geschuldet war. Eine Handvoll nostalgischer Szenen rekreierte Amalie in ihrem Bewusstsein, doch so sehr sie es auch versuchte, dies zu verhindern, Wenzels Gesicht wandelte sich unvermeidlich wieder zu dem des alten, faltigen Mannes, der sie zuletzt noch begleitet hatte, obwohl die geistige Rekonstruktion dieser Ereignisse eigentlich einen jugendlichen Erkorenen zeigen h?tten sollen. So sehr hatte er sich ver?ndert. So viel war passiert……
Daraufhin entsinnte sich auch wieder der ?neuen Version“ ihres Liebsten, demjenigen, den er dem gemeinen Volk als ?Melgar“ andrehen hatte k?nnen. Letzten Endes hatten ihm das alle geglaubt. Alle au?er ihr. Für sie war er immer und würde er immer Wenzel verbleiben, was auch immer geschehen war und vielleicht noch geschehen mochte! Sie hatte sich selbst auferlegt, dass sie niemals diesen sogenannten Melgar als ihren Gatten akzeptieren würde. Der kalte, grausame, berechnende Mann, der das Heilige Reich mit eiserner Faust regierte, war nicht derjenige den sie geheiratet hatte. Und ihr Ehemann verstand das und respektierte es auch. Ihr gegenüber war seine Art ganz anders gewesen als jene, die er allen anderen entgegengebracht hatte. Bei dem Gedanken quoll ein Gespr?ch mit ihm aus den Tagen nach der neuerlichen übernahme des Grabestempels wieder aus ihren Erinnerungen empor:
?Bin ich wirklich der m?chtigste Mann aller Zeiten? Ja, vermutlich. Aber das bedeutet nicht, dass ich wirklich mehr pers?nliche Freiheit als andere habe. Theodor hatte damals recht, als er mir über die Freiheit erz?hlte. Ich habe unglaubliche Macht über das Reich, aber gleichzeitig hat das Reich auch riesige Macht über mich. Ich war nicht der Ausgangspunkt der Zust?nde, die wir im Reich heute haben, noch bin ich deren Endpunkt. Der Teleiotismus, der Reichtum der Gilden und des Erbadels, die Machtlosigkeit des Bauernstandes, das alles habe ich nicht erschaffen. Es war schon da, als ich diese Erde betreten habe. Ich bin kein Demiurg und ich bin nicht omnipotent. Ich bin auch nur Teil der Sch?pfung. Nur habe ich im Unterschied zu anderen vom Herrn die Autorit?t zugeschrieben bekommen, um dieses Reich, das aus fünf K?nigreichen besteht, zu regieren. Ich bin der Oberste einer Religion, die meine Handlungen in bestimmte Bahnen zwingt. Ist dies wirklich Macht? Allzu m?chtig fühle ich mich nicht.“
Sie hatte ihm damals bei diesen Einsch?tzungen zugestimmt. Doch ebenso hatte sie ihren Liebsten darauf hingewiesen, dass er die Fülle an Autorit?t, über die er gebot, herunterspielte – wohl um sich selbst von der Verantwortung für das Geschehene loszusprechen. Folgendes Beispiel hatte seine Ehefrau ihm damals diesbezüglich angeführt: ?Vom gr??ten bis zum kleinsten Mann in Kaphkos wirst du gefürchtet. Deine Zauberkr?fte übersteigen alles, was sie verstehen k?nnen. Und was man nicht verstehen kann, das macht einem Angst. Diese Angst dominiert nun das Reich. Sie gibt dir die Macht, alles zu tun, was du willst.“ Wenzel hatte ihre Einw?nde einfach so abgetan. Stattdessen fuhr er ohnehin mit dem fort, worüber er zu dem Zeitpunkt zu schwadronieren vorgehabt hatte.
?Denk doch mal darüber nach. Der Heiligen Gesandtschaft, der ehemaligen Inquisition, habe ich wieder ihre ursprünglich zugedachte Aufgabe zurückgegeben: Alle Magier, au?er dem einen Gesunden, dem n?chsten Erkorenen, zu eliminieren. Ist das richtig? Nein, es ist unmoralisch! Aber was soll ich denn machen? Dies ist nur ein Ausdruck meiner Verzweiflung, ein Schritt, den ich setze, weil ich keine Ahnung habe, wie ich solch besondere Menschen in die Gesellschaft integrieren kann. Ich bin ein Versager, der sich nur mit Gewalt und Unterdrückung zu helfen wei?!“ – ?Woher wollen wir überhaupt wissen, wer der eine gesunde Magier ist? Steckt nicht in allen Menschen ein Hauch von B?sem, ein kleiner Teufel?“, hatte ihn Amalie infolge gefragt. Und er hatte erwidert: ?Ja, in der Tat. Die Frage ist nicht, ob man zum B?sen f?hig ist. Nein, sie ist, welche Seite schlie?lich obsiegt, der Engel oder der Teufel.“
?Verzeiht die St?rung, Herrin!“, ert?nte es mit vorsichtiger Stimme. Nichtsdestotrotz schrak Ihre Majest?t dadurch auf. Sie hatte ihn noch nicht einmal das Zimmer betreten h?ren, so vertieft war sie in ihre Tagtr?ume gewesen. ?Was ist dein Begehr, Rizzo?“, adressierte sie gleich darauf ihren kaiserlichen Berater. ?Es g?be da einige Dinge, die ich mit Euch besprechen m?chte, Eure Hoheit.“ Die Frau blickte hinüber auf ihren Untergebenen mit goldblondem, sehr kurz geschnittenem Haarschopf. Seine Kleidung war zur G?nze schwarz, jedoch gleichzeitig mit edlen, silbernen Quasten verziert. ?Einverstanden!“, gab sie dann zurück, legte ihr Malutensil zur Seite und schritt gem?chlich hinüber zu einem kleinen Tisch an einer der Innenw?nde des Raumes. Es war ein ganz winziger Tisch mit lediglich zwei Sesseln dabei. Die Dame, die ein feines, violettes Kleid trug, achtete darauf ihre Haarpracht, welche mittlerweile so lang war, dass sie bis zum Boden hinabreichende, beiseitezuschieben, bevor sie auf einem der Sessel Platz nahm, um zu vermeiden, dass sie sich daraufsetzte. Rizzo lie? sich ihr gegenüber nieder.
The author's content has been appropriated; report any instances of this story on Amazon.
Wie aus der Kanone geschossen, begann er sofort und überhastet loszupalavern: ?Ich m?chte Sie hiermit darauf aufmerksam machen, dass Kanzler Rubellio erst in einigen Tagen einen gro?en Rat angesetzt hat. Es ist meines Erachtens unverantwortlich und nachl?ssig, ein derartiges Ausma? an S?umigkeit an den Tag zu legen! Die Kl?rung der Herrschaftsnachfolge sei als einer der quintessentiellsten Anbelange überhaupt zu verstehen. Ich halte ein solches Verhalten seiner Exzellenz für eine wissentliche Schadensverursachung und eine Provokation ihrer Hoheit! Es ist ausgeschlossen, dass es sich hier um einfache Fahrl?ssigkeit handelt. Es…“
Die Herrscherin schnitt ihm das Wort ab: ?Immer ruhig mit den jungen Pferden!“ Rizzo fügte sich sogleich. Sie fuhr fort: ?Ich k?nnte mir durchaus vorstellen, dass das Abhandensein eines klar festgelegten Thronfolgers auch Peter allerhand Kopfzerbrechen bereitet. Wom?glich zieht er noch einige andere dafür zu Rate. Das k?nnte die Erkl?rung dafür sein.“ Insgeheim glaubte aber selbst Amalie das nicht. Die Ernennung des n?chsten Kaisers oder, naja, eigentlich eines Statthalters, war von gr??erer Bedeutung als alle anderen Belange im Reich, war von dringlichster Natur. Sich damit Zeit zu lassen, rief bisher im Schlaf befindliche, spalterische Kr?fte auf dem Plan. ?Ich verstehe allerdings, weshalb dich das so beunruhigt, Rizzo. Ludo, obwohl er der naheliegendste Kandidat w?re, ist schlicht und einfach inad?quat, nicht nur aus Gründen der Heiligkeit, sondern auch aufgrund des Fehlens eines explizit festgelegten Nachfolgers.“ – ?Wie wohl Ihr da recht habt, eure Majest?t!“, pflichtete deren Diener ihr sofort bei.
Dann hielt er noch fest: ?Es scheint mir zudem verd?chtig, dass der Reichskanzler Sie in diese Angelegenheit nicht involviert. Als amtierende Regentin habt ihr vorübergehend die Fülle an Kompetenzen inne, welche seine Heiligkeit, Lob sei ihm, ausübte. Die Reichsgarde gehorcht allein euch. Ich würde Ihnen somit raten, seiner Exzellenz damit Druck zu machen, oder er ansonsten die Konsequenzen seiner Tatenlosigkeit zu spüren bekommt!“ Ihre Hoheit lehnte ein solches Vorgehen jedoch ab. ?Lass uns erst mal sehen, was sich beim Rat in ein paar Tagen ergibt“, gab sie ihrem Berater zur Antwort. Dieser war mit der diesbezüglichen Haltung Ihrer Majest?t zwar sichtlich unzufrieden, widersprach ihr aber nicht.
Nach einem kurzen Moment des überlegens, was denn der n?chste Punkt war, den er behandeln wollte, ?u?erte Rizzo schlie?lich: ?Und das Amulett? Ist es sicher?“ – ?Natürlich ist es das!“, entgegnete ihm seine Herrin, schon beinah entnervt von einer solchen Frage. Infolge zog sie dann etwas aus ihrem Obergewand, um genau zu sein aus ihrem Dekolleté. Es war zuvor vollkommen unsichtbar gewesen, und noch nicht einmal die Kette des Schmuckstücks, die um ihren Hals hing, war auszumachen gewesen, da sie hinter dem Stoff des Kleides ihrer Hoheit gut versteckt war. überrascht starrte der Mann da gebannt auf das Objekt. Ein gro?er, blau schimmernder Edelstein, in einer mit aufwendigen Engelsmotiven verzierten, goldenen Fassung, zog ihn da in seinen Bann. Rizzo blickte verzaubert auf den Klunker, der aber kein Licht absonderte. Er war einer der wenigen Auserw?hlten, die um den Stein wussten. Noch vor seinem Ableben hatte Melgar einen Teil seiner Seele in diesem versiegelt. Amalie war nun die Hüterin dieses einzigen und letzten Heiligen Artefakts.
Sogleich lie? die Frau den Gegenstand wieder verschwinden. ?Zufrieden?“ Ihr Untergebener nickte geschwind darauf. ?Gut“, meinte Amalie und stellte ihm unmittelbar darauf folgende Frage: ?Haben Sie Silke bereits ausquartiert?“ Einen kurzen Augenblick verdattert, fasste sich Rizzo gleich wieder und fragte nach: ?Meinen Ihre Hoheit etwa die kaiserliche Assistentin für die Erforschung von Magie?“ – ?Wen denn sonst, Junge!“, schnauzte ihn die hohe Dame frech an. Das war wenig verwunderlich. Die Abneigung Ihrer Majest?t gegenüber der langj?hrigen Assistentin war bereits Allgemeinwissen am Hof. In der Vergangenheit hatte sie unz?hlige Male versucht Frau Silke loszuwerden, doch hatte sich der Kaiser dem stets in den Weg gestellt, weniger aufgrund seiner Zuneigung zu der Dame, sondern eher wegen deren unersetzlichem Schatz an Wissen und Kompetenz.
Der kaiserliche Berater antwortete seiner Madame: ?Nachdem sie dies von Ihnen pers?nlich mitgeteilt bekam, hat die Frau Assistentin umgehend mit dem Packen ihrer Sachen begonnen.“ – ?Das beantwortet meine Frage nicht. Erst gestern habe ich sie noch hier durch die G?nge kreuchen sehen! Mach, dass sie unverzüglich das Weite sucht! Sie ist hier nicht mehr willkommen und ich will sie hier nicht mehr sehen!“, wetterte die Regentin folglich. Ihr Gegenüber stand da gleich habt acht und gab sofort zurück: ?Es wird so geschehen, Eure Hoheit!“ Danach nahm er seinen Abschied und verlie? den Raum wieder. Die alte Dame erhob sich langsam von ihrem Stuhl und wandelte hinüber zu einem der gro?en Fenster, um hinauszublicken. Ihre Gedanken waren jedoch ganz woanders.
?Er glaubt, dass ich das tue, weil ich Silke nicht leiden kann. Das stimmt zwar auch, ist aber nicht der Grund, weshalb ich sie so schnell wie m?glich von hier entfernen muss.“ In Wahrheit war das Amulett, dem Wenzels Seele nun innewohnte, in dem geheimen Fach in der kaiserlichen Privatbibliothek verborgen. Das Geschmeide, welches sie um ihren Hals trug, war nur eine exakte Kopie davon, die dem Zweck diente, etwaige Diebe zu t?uschen. Silke war als Einzige darüber in Kenntnis, dass das echte Heilige Artefakt in Wenzels Bibliothek war. (Oder zumindest glaubte Amalie das.) Jetzt, wo ihr Ehemann nicht mehr da war, konnte sie dieses – in ihren Augen – Flittchen nicht mehr l?nger hier tolerieren. Sie wusste zu viel. Und Wissen ist Macht. Kein Am-Leben-Befindlicher wusste so viel über die Kunst der Zauberei und wie sie funktionierte wie Silke. Was Amalie in Bezug auf das Amulett bald herausfinden würde, würde sie allerdings schwer verwirren und vor allem entt?uschen. Der Goldschmied, der ihr das Replikat des Amulettes angefertigt hatte, war n?mlich auch sehr gut mit Peter Rubellio befreundet…..
Fieberhaftes Treiben herrschte vor dem Erl?serpalast und im unmittelbaren Eingangsbereich dessen. Die warme Mittagssonne lachte herab und lie? die hohen Mauern des Prunkbaus, die makellos wei? wie Elfenbein waren, grell aufblitzen. Wagen um Wagen rollte von den edlen Herrschaften heran, die zu dem gro?en Termin des heutigen Tages geladen waren. Vertreter von altbekannten Adelsh?usern, wie etwa dem der Duenitz waren da natürlich zugegen, jedoch auch ?neuere“ Geschlechter, die ihre Treue dem Kaiserhaus gegenüber w?hrend der Fortsetzung der Revolution in hohe Positionen bef?rdert hatte. So etwa die Kuhary aus dem Osten. In einem edlen, langen Mantel gekleidet stieg da Otto von Duenitz in Vertretung seines Vaters, Xaver, gemeinsam mit seiner Gemahlin aus ihrem Zweisp?nner und erklomm mühevoll die Stiegen des Palastes. Solche Kleidung war viel zu dick für die aktuell ungew?hnlich warmen Temperaturen. Dennoch konnte er nicht umhin, da es Tradition war diese zu solch bedeutenden Anl?ssen zu tragen.
Ein hoher, violett gef?rbter Hut kam mit seiner ganz eigenen Entourage angeritten. Es war Sein Hochwürden Damianos, der Patriarch der Teleiotischen Kommune. In wei?-violetten Gew?ndern, passend zu seiner unverkennlichen, ja fast schon lustig aussehenden Kopfbedeckung, begab er sich dann auch hinein in das Herrschaftsgeb?ude. Seine Leute würden natürlich nicht am Treffen selbst teilnehmen, jedoch war hier auch auff?llig, dass das ?Gegenstück“ von Damianos, der Alethische Patriarch, heute nicht geladen war. Dies war kaum anders, als es zu Lebzeiten seiner Heiligkeit gewesen war. Auch damals schon hatte nur die Teleiotische Kommune das Privileg politischen Einfluss ausüben zu k?nnen von Kaiser Melgar zugesprochen bekommen. Toleranz bedeutete für seine Heiligkeit eben nur toleriert zu werden und nicht recht viel mehr.
Ihre Hoheit, die Kaiserin sa? einstweilen noch immer beim Frühstück. Von edlem Porzellan, das mit exotischen Früchten vom Archipel südlich Camenias bemalt war, speiste sie. Ihr Mahl umfasste aber kontrastierenderweise nur heimische Produkte, wie einfaches Brot, Butter, K?se und Schinken. Ihre pers?nliche Leibw?chterin, Raskild, sa? anbei und blickte st?ndig mit überwachsamem Blick umher. Diese Frau nahm ihre Arbeit so ernst wie man es nur konnte. Auf der anderen Seite ihrer Majest?t leistete deren alte Freundin, Flora, ihr Gesellschaft.
?Ich habe mir von vertraulicher Quelle sagen lassen, dass gestern sp?t in der Nacht vier Herolde gleichzeitig in die Stadt geritten kamen, die alle hier in den Palast eingekehrt sein sollen. Sie sollen aus allen vier Himmelsrichtungen gekommen sein und als allererstes hat man angeblich den Kanzler darüber unterrichtet“, erz?hlte Flora ihr nun. Die Angesprochene schluckte erst einmal, das Essen, das sie noch im Mund hatte, hinunter und antwortete dann: ?Mir hat man noch nichts gesagt.“ Sie überlegte kurz und sprach dann weiter: ?Mich nicht über jede organisatorische oder verwaltungstechnische Kleinigkeit in Kenntnis zu setzen ist ja v?llig logisch und zu erwarten. Das war aber zu dunkelster Stunde. Ich glaube kaum, dass es nur wegen irgendeiner Kleinigkeit war. Wenn man Reiter zu solch einer Tageszeit noch beim Stadttor und obendrein noch beim Palast hereinl?sst, muss es sich um etwas wirklich Ernstes handeln.“ Ihre Freundin nickte ihr da zustimmend zu. ?Ich werde Peter sp?ter fragen müssen, was es mit dieser Sache auf sich hat. Ich hoffe nicht, dass es irgendwelche schlechten Nachrichten aus den entfernteren Ecken des Reiches sind. Da wir uns momentan in einer Sattelzeit befinden, w?re so etwas naheliegend.“
Ihre Anfrage würde allerdings bis nach dem Gro?en Rat, der demn?chst bereits – in einer Stunde n?mlich – beginnen würde, warten müssen. Im pr?chtigen Hundertheiligensaal, welcher der gro?e Versammlungssaal der Regierung war, würde dieses stattfinden. Amalie war ohnehin schon am Ende ihrer Mahlzeit angelangt. Ein paar letzte Worte wechselte sie noch mit ihrer alten Freundin, dann machte sie sich auf, um sich in dem Anlass entsprechende Gew?nder zu kleiden. Sie wischte sich den Mund ab, erhob sich von ihrem Stuhl und verabschiedete sich mit warmem Gru? von Flora. Dann schritt sie gem?chlich, wie es mittlerweile immer bei ihr der Fall geworden war, und in Begleitung ihrer Wache davon.