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Kapitel 11 • Fragen über Fragen

  Meister Cedrik führte sie durch verwinkelte G?nge und Korridore. ?Wir nehmen ein paar Abkürzungen, dann sind wir schneller in den R?umen der Akademie.?

  Moreen hatte schon bald v?llig die Orientierung verloren, w?hrend Prinz Arlyn sich offensichtlich einigerma?en zurecht fand. Er be?ugte allerdings interessiert einige der unscheinbaren Türen und Durchg?nge, die Cedrik w?hlte.

  ?Meister Cedrik, Ihr kennt das Schloss wie Eure eigene Westentasche?, bemerkte Arlyn bewundernd, ?obwohl Ihr nur ein paar Wochen im Jahr in Taboron weilt. Wie kommt das??

  Cedrik schmunzelte. ?Euer werter Vater hat mir vor vielen Jahren einmal Einsicht in die Baupl?ne von Greifenhorst gew?hrt, und ich habe ein gutes Ged?chtnis. Aber ich muss hin und wieder feststellen, dass mich entweder meine Erinnerung trügt oder dass die Pl?ne nicht ganz mit den tats?chlichen Gegebenheiten übereinstimmen — oder Eure Baumeister haben noch ein paar ?nderungen vorgenommen seit meinem letzten Aufenthalt hier.

  So, hier sind wir!? Cedrik ?ffnete eine weitere unscheinbare Tür, und sie fanden sich im weiten Korridor der Akademie der magischen Künste wieder. Moreen konnte sich an den lichtdurchfluteten, von marmornen Büsten ges?umten Gang gut von ihrer gestrigen Führung durch das Schloss erinnern.

  Cedrik steuerte auf eine Türe schr?g gegenüber zu, an der ein kunstvolles Schild mit goldenen Lettern prangte.

  Moreen ben?tigte einige Augenblicke, um die verschlungenen Buchstaben zu entziffern. ?Meister Cedrik, Dekan‘ stand dort geschrieben. Moreen hielt erschrocken die Luft an und verkrampfte sich wie vom Donner gerührt. Sie sollte vom Leiter der berühmten Magierschule h?chstpers?nlich geschult und geprüft werden? Und mit niemandem geringeren als dem Kronprinzen als einzigem Mitbewerber in der Gruppe? Das konnte ja heiter werden. Vor allem würde sie niemanden haben, mit dem sie sich unterhalten k?nnte — die Ablehnung aller anderen Kandidaten hatte sie ja schon beim Frühstück gerade eben zu spüren bekommen, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie mit Prinz Arlyn ins Gespr?ch k?me, auch wenn er beim Frühstück ganz umg?nglich gewirkt hatte. Ganz abgesehen davon, dass sie sich mit ihm nicht über ihre Probleme unterhalten k?nnte, ohne sich in Grund und Boden zu sch?men…

  Cedrik ?ffnete die Türe zu seinen R?umen mit einem Schlüssel, den er nach l?ngerem Suchen aus einer der vielen verborgenen Taschen in seiner Magierrobe zog. ?Entschuldigt bitte die Umst?nde, aber ich würde euch beide gerne etwas abseits des allgemeinen Trubels ein paar Fragen stellen.?

  Moreen sah Meister Cedrik beunruhigt an. ?Werden etwa nicht alle Kandidaten gleich behandelt und den gleichen Prüfungen unterzogen??, fragte sie schon fast vorwurfsvoll.

  ?Immer mit der Ruhe, meine Liebe. Natürlich werden nicht alle Probanden das selbe Rigorosum durchlaufen. Schlie?lich verfügt jeder einzelne von euch über individuelle F?higkeiten und Begabungen, und es w?re eine Schande, diese nicht optimal — für den Probanden und für die Gemeinschaft — zu f?rdern und zu nutzen.

  Bitte, tretet ein!? Cedrik schloss die Türe hinter ihnen und geleitete sie zu seinem Schreibtisch, auf dem sich Schriftrollen und Bücher türmten. Vor dem Tisch standen zwei Stühle, deren Sitzfl?chen aber ebenfalls von Bücherstapeln belegt waren. Hastig r?umte Cedrik die Bücher weg und türmte sie auf dem Boden neben dem Schreibtisch auf, wo sich bereits etliche Dutzend B?nde angeh?uft hatten und das Durchkommen schier unm?glich machten. Cedrik r?usperte sich und l?chelte fast ein wenig verlegen. ?Bitte, nehmt Platz. Wie ihr sicherlich bemerkt habt, habe ich nicht allzu oft G?ste hier.?

  Er schaffte es, sich zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch hindurchzuzw?ngen, ohne einen der gef?hrlich schiefen Büchertürme umzurei?en, und lie? sich mit einem erleichterten Seufzer hineinfallen. Er stützte die Ellbogen auf den Armlehnen auf und faltete die H?nde unter seinem Kinn.

  Moreen setzte sich und wand unter Meister Cedriks stechendem Blick nerv?s die H?nde in ihrem Schoss. Unter ihren langen Wimpern hervor musterte sie den Magier verstohlen.

  Neben ihr nahm Prinz Arlyn Platz, schlug die Beine übereinander und lehnte sich entspannt zurück. Er schien der Befragung gelassen entgegenzusehen, wahrscheinlich hatte er all die Fragen bereits zigfach beantwortet.

  Cedrik wandte sich zu Moreens Erleichterung dem Prinzen zu. ?Nun, Hoheit, über Euch wei? ich natürlich schon alles — zumindest, was Eure magischen F?higkeiten anbelangt. Bitte schildert mir dennoch kurz, was Ihr Euch von den n?chsten beiden Wochen erwartet.?

  Arlyn antwortete ohne zu z?gern. ?Ich werde mich mit Eurer Hilfe auf die Prüfungen vorbereiten und dann meine magischen F?higkeiten best?tigen lassen, insbesondere das Ausma? meiner Gabe als Seher.?

  ?Gut.? Cedrik nickte bed?chtig. ?Nun zu dir, meine Liebe. über dich wissen wir so gut wie gar nichts, au?er dass auch in dir magische F?higkeiten schlummern. Wahrscheinlich wei?t du aber selbst nicht so genau, welche Disziplin dir am meisten liegt. Auch aus diesem Grunde bist du jetzt hier.

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  Bitte beschreibe mir kurz, welcher Art deine Begabung ist.?

  Moreen z?gerte. Sie hatte wiederholt versucht, ihren Eltern ihre sonderbare Gabe zu beschreiben, aber diese hatten ihre ?u?erungen immer als Unfug oder Hirngespinste abgetan. Nun wagte sie nicht, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Sie wollte nicht wieder als Spinnerin abgetan werden. Aber sie hatte keine andere Wahl, Meister Cedrik würde sicherlich bemerken, wenn sie die Unwahrheit sagte. Unglücklich und wortlos starrte sie den Magier an.

  ?Keine Angst, meine Liebe?, versuchte Cedrik sie zu tr?sten. ?Dies ist nur ein vorbereitendes Gespr?ch, damit wir dich und deine Begabung besser einsch?tzen und f?rdern k?nnen.? Er nickte ihr ermutigend zu.

  Moreen atmete tief durch und schilderte ihre ersten Erfahrungen mit ihren magischen F?higkeiten. ?Ich konnte schon immer sehr gut erkennen, in welcher Stimmung meine Eltern und die anderen Bewohner der Burg waren. Aber meine Mutter hat das immer als besondere Einfühlsamkeit abgetan, und mein Vater hat mir gar nicht zugeh?rt, wenn ich meine F?higkeiten zur Sprache brachte. Er hat entweder das Thema gewechselt oder mich komplett ignoriert und den Raum verlassen.?

  Cedrik nickte best?tigend. ?Das ist eine h?ufige Reaktion von Menschen, die selbst über keinerlei F?higkeiten verfügen. Sie k?nnen einfach nicht verstehen, wie die Dinge m?glich sind, die jemand mit magischer Begabung vollbringen kann. Und das versetzt sie in Furcht. Ihre Ablehnung ist einfach eine Art Selbstverteidigung. Aber deine Eltern verfügen beide über zumindest rudiment?re magische F?higkeiten, daher ist ihre Reaktion eigentlich verwunderlich. Obwohl dein werter Herr Vater zugegebenerma?en ein besonderer Fall ist…?

  Moreen war erleichtert. Endlich konnte sie jemandem von ihren Erlebnissen erz?hlen, der ihr zur Abwechslung einmal zuh?rte und auch zu verstehen suchte, was ihr widerfahren war. ?Im Alter von etwa zehn Jahren konnte ich erkennen, wenn jemand sich eine Verletzung zugezogen hatte.?

  Cedrik richtete sich alarmiert in seinem Lehnstuhl auf. ?Wie das? Konntest du seine oder ihre Schmerzen spüren? Dann w?rst du eine Telepathin, das ist eine sehr seltene — und gef?hrliche — Begabung.?

  Moreen zuckte erschrocken zusammen. ?Nein, nichts dergleichen. Ich sah nur den verletzten K?rperteil in einem r?tlichen Licht schimmern, sonst nichts. Aber ich konnte sogar innere Verletzungen erkennen, einen verstauchten Kn?chel etwa, noch bevor eine Schwellung oder Verf?rbung auf der Haut zu sehen war.?

  Cedrik rieb sich nachdenklich das Kinn, blickte zur Decke und murmelte halblaut vor sich hin. ?Das ist sonderbar. Mir ist keine derartige F?higkeit bekannt, aber am ehesten geh?rt das in den Bereich der Heiler. Ich muss morgen unbedingt mit Sheridan sprechen und eine Sitzung mit ihm vereinbaren.?

  Er wandte sich wieder Moreen zu. ?Welche magischen F?higkeiten hast du sonst noch? Kannst du Dinge bewegen, ohne sie zu berühren??

  Moreen schüttelte den Kopf.

  ?Feuer entfachen? Feuerb?lle schleudern? Das Wetter beeinflussen? Wind? Blitze? K?lte oder Eis erzeugen??

  Moreen verneinte wiederholt.

  Cedrik dachte kurz nach. ?Tiere beschw?ren? Ihre Sprache verstehen? Hmm…

  Tote — ahem — mit Toten in Kontakt treten? Sie gar wieder zum Leben erwecken??

  Moreen schüttelte entsetzt den Kopf. ?Das ist doch verboten!?, stammelte sie und blickte fragend zu Prinz Arlyn hinüber.

  Dieser lümmelte weiter bequem in seinem Stuhl und verfolgte die Unterhaltung eher gelangweilt.

  ?Und mit gutem Grund!?, entgegnete Cedrik. ?Bisher haben noch alle, die sich auf Nekromantie eingelassen haben, ein schlechtes und furchtbares Ende gefunden. Weiter…

  Wie steht es mit Illusionen? Auch nicht.

  Beschw?rungen??

  Moreen sah ihn verst?ndnislos an.

  ?Ich meine damit, kannst du Geister herbeirufen oder gar D?monen??

  ?Nein!? Moreen sank bei jeder genannten Disziplin, die sie verleugnen musste, weiter in sich zusammen. Ihre eigene Gabe war also doch unbekannt, und von den nützlichen F?higkeiten hatte sie keine einzige.

  Cedrik wirkte nun auch ein wenig entt?uscht. ?Dann verfügst du über eine recht ausgefallene Gabe. Ich hoffe, Meister Sheridan kann morgen mehr damit anfangen. Er wird sich weiter um dich kümmern. An sich würde ich dich ja liebend gerne selbst weiter untersuchen, aber leider sind mir andere Verpflichtungen dazwischen gekommen.? Mit diesen Worten erhob er sich, umrundete vorsichtig seinen überbordenden Tisch und geleitete die beiden Probanden zur Tür.

  ?Darf ich fragen, wer Meister Sheridan ist??, erkundigte sich Moreen zaghaft.

  Arlyn runzelte missbilligend die Stirn. ?Der k?nigliche Heiler?, knurrte er.

  ?Und gelinde gesagt ein wenig sonderbar. Aber er ist ein sehr f?higer Mann?, fügte Cedrik hinzu, bevor er die Türe hinter ihnen schloss.

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